Eine offizielle Einladung

Dem Team der Ausstellung 1998 war von Anfang an klar, dass die Arbeit von einer Einladung der Stadt an die Vertriebenen gekrönt sein musste. Nur eine offizielle Einladung des Bürgermeisters konnte symbolisch ein Gegengewicht zu dem erlittenen Unrecht sein. Wo auch immer wir mit den Betroffenen sprachen, löste dieses Thema Skepsis, Abwehr – „...das macht St. Pölten nie!“ und leise Hoffnung aus.

Die endgültige Zusage der Stadt kam sehr spät, aber nicht zu spät, auch das Land Niederösterreich beteiligte sich an den Reisekosten. Nach einigen organisatorischen Kapriolen – schließlich war diese besondere Reiseorganisation auch für das Institut unbekanntes Terrain – und einiger Unsicherheit, auch was den Gesundheitszustand unserer Gäste betraf, war es soweit: Am 25. November 1998 trafen auf dem Flughafen Wien-Schwechat die ehemaligen St. Pöltner und ihre Familien ein, insgesamt fast fünfzig Menschen.

Schon die Begrüßungsszenen waren unbeschreiblich. Einige „Kinder“ des zionistischen Vereins Betar sahen einander und ihren „Führer" Zvi Gol zum ersten Mal seit 60 Jahren wieder...



Bei der langen Eröffnungsfeier am 26. November in der überfüllten Synagoge erhielt jeder Gast Christoph Linds Buch über die jüdische Gemeinde St. Pölten „… es gab so nette Leute dort“. Viele berichteten kurz über ihr weiteres Schicksal nach der Vertreibung und versuchten auszudrücken, wie ihnen ums Herz war – „gemischte Gefühle“ wurden geäußert und große Bewegtheit. Die Enttäuschung, dass Bürgermeister Willi Gruber am Eröffnungsabend verhindert war, machte dieser zwei Tage später bei einem Empfang im Rathaus wieder wett. Mit herzlichen und sehr persönlichen Worten begrüßte er die Gäste und versuchte, eine Brücke zwischen Vertreibung und Wiedersehen zu schlagen, denn „St. Pölten ist auch Ihre Stadt!“

Die Spannung des Augenblicks war beinahe mit Händen zu greifen. Abraham Harry Reiss aus Kirjat Maleachi brachte die Bedeutung dieser Einladung auf den Punkt. Er zitierte einen Spruch der thailändischen Bettelmönche, deren Geisteshaltung er bei seinen langjährigen Aufenthalten in Asien kennengelernt hatte:

„Ein Bettelmönch bedankt sich nicht. Denn so wie der Beschenkte die Gaben benötigt, braucht auch der Gebende das Schenken. So wie wir alten St. Pöltner Juden eine Einladung in unsere alte Heimatstadt nötig hatten, so notwendig war es auch für die Stadt St. Pölten, uns einzuladen.“

Die Dankesworte an das Team des Instituts waren zahlreich und berührend. Die schönste Anerkennung schrieb uns eine heute in der Schweiz lebende Dame:
„Die Mauer, die ich um mich während sechzig Jahren gebaut habe, ist teilweise gefallen.“

Martha Keil, 1998

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