„Arisierung“

„Manche Volksgenossen sind sich über die Bedeutung der Judenfrage noch immer nicht im klaren. So manche drücken sich noch zum jüdischen Kaufmann hinein; manche verstohlen, andere offen. Merken Sie: Wer sich mit Juden im Hitlerstaat einläßt, der wird kurz oder lang die schärfsten Maßnahmen der NSDAP zu gewärtigen haben! Das ist Volksverrat, und Querulanten gehören an den Pranger!“ St. Pöltner Zeitung Nr. 30, 21.7.1938

Schon wenige Tage nach dem „Anschluss“ begann der offizielle Boykott der jüdischen Geschäfte. Im Auftrag der NSDAP legte die Stadt im September 1938 ein Verzeichnis aller jüdischen Betriebe und Geschäfte an. Bereits im Jänner 1939 gab es in St. Pölten keinen jüdischen Gewerbetreibenden mehr.



Von den etwa 85 Geschäften in jüdischem Besitz waren die unrentablen Geschäfte gelöscht und die etwa 40 einträglichen „arisiert“ worden. Die jüdischen Besitzer waren ihrer Lebensgrundlage beraubt.

Der Kaufpreis für die Liegenschaften kam durch „freie“ Vereinbarung zustande. Allerdings gab sich der jüdische Besitzer unter dem Druck der Verhältnisse zwangsläufig mit jedem Preis zufrieden. Nach Abzug der Abgaben, zum Beispiel der „Sühneleistung“ für die Schäden des Novemberpogroms, und der sog. „Reichsfluchtsteuer“, blieb vom Erlös fast nichts übrig. War ein Jude bereits geflohen oder deportiert, wurde sein Vermögen beschlagnahmt, er selbst wurde ausgebürgert und zu Gunsten des Deutschen Reichs enteignet.

Alle Juden des Reichs mussten bis Februar 1939 Schmuck und Wertgegenstände zum Verkauf anbieten. In St. Pölten war das Dorotheum die Ablieferungsstelle, das Kreiswirtschaftsamt führte die Transaktionen durch. Der Erlös kam auf Sperrkonten, die im Fall der Deportation ihrer Besitzer größtenteils erst ab den 1990er Jahren an die Erben übertragen wurden. Auch für einige St. Pöltner Juden wurden solche Konten angelegt. Versicherungspolizzen verfielen dem Reich, auch hier erfolgten erst ab den 1990er Jahren Entschädigungen.

Aufgrund der genauen Aufzeichnungen der NS-Behörden ist jeder „Ariseur“, ob öffentlich oder privat, aktenkundig. Betroffene können am Institut für jüdische Geschichte Österreichs in die Unterlagen Einsicht nehmen.

Das „Referat für Fürsorge und Auswanderung“

Der größte Teil der jüdischen St. Pöltner verlor seine Existenzgrundlage. Um den in Not geratenen Menschen zu helfen, richtete die Kultusgemeinde in der Synagoge das „Referat für Fürsorge und Auswanderung“ ein, das den Emigranten die notwendigen Bestätigungen ausstellte und versuchte, sie auch finanziell zu unterstützen. Referent war Hermann Schwarz. Für die „Fürsorgeaktion 1938“ spendeten 29 Juden, obwohl selbst in prekärer finanzieller Lage, Beträge zwischen zwei und dreißig Reichsmark. Diese Summen wurden der IKG monatlich oder einmalig, je nach Finanzkraft der Spender, zur Verfügung gestellt, in der allgemeinen Notlage eine besondere Leistung. Das Fürsorgereferat erhielt auch Zuschüsse von der IKG Wien.

Der Karton 3 des Stadtarchivs St. Pölten enthält rund fünfzig Ansuchen um Unterstützung. Die meisten der verarmten Juden brachten das Geld für die Flucht nicht auf und wurden in der Folge deportiert und ermordet. Manchen, wie Franz Mandl, gelang mit dem bewilligten Betrag die Flucht in die Freiheit.

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