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Adolf
Weinstein
16.12.1879
Herzogenburg
01.06.1942
Maly Trostinec
Bahnbediensteter
Lederergasse 8, St. Pölten
Klostergasse 8, St. Pölten
Am 11. November 1938 Zwangsübersiedlung in die Hollandstraße 8, Wien 2; am 27. Mai 1942 nach Maly Trostinec deportiert
Heinrich
Kathie
Silbermann



rosen
weinstein


Adolf Weinstein und seine Brüder Josef und Karl

Adolf Weinstein war der Bruder von Karl Weinstein (1888–1942), meinem und Gideons Großvater; eine österreichische Familie mit zwölf (!) Brüdern und Schwestern, zwei von ihnen starben als Kleinkinder.

Wir wissen sehr wenig über Adolf. Dies sind die für das „Memorbuch – Juden in St. Pölten“ recherchierten Informationen: Er wurde am 16.12.1879 in Herzogenburg geboren, lebte in St. Pölten (Lederergasse 8 und Klostergasse 8) und war Bahnbediensteter. Er besaß kein eigenes Haus und war soweit bekannt auch nicht verheiratet. Am 11. November 1938 wurde er zur Übersiedlung nach Wien 2, Hollandstraße 8, gezwungen und von dort am 27. Mai 1942 nach Maly Trostinec deportiert. Fünf Tage später, am 1. Juni 1942, wurde er ermordet. Mehr wissen wir nicht. Vielleicht ein typisches Ereignis der Shoah: ein plötzlich durch blinden Terror und Hass zerstörtes Leben. Adolfs Eltern, Heinrich (1848– 1919) und Kathie (geb. Silbermann, 1851–1928), verbrachten mit ihrer großen Familie ein ruhiges Leben in Landhausen nahe St. Pölten: Adolf war das dritte Kind und der erste Sohn der Familie. Wie er selbst wurden sechs seiner Geschwister, seine Schwestern Hanni (Pollak), Jeanette (Neufeld), Karoline (Sachs) und Rosalie (Silbermann [!]), und seine Brüder Karl und Josef zu Opfern des Nazi-Regimes. Sofie starb im Mai 1941 in Wien, Jakob und Isidor überlebten. Über meinen Großonkel Josef und meinen Großvater Karl und deren Familien möchte ich hier ein paar Worte hinzufügen.

Josef Weinstein

Josef, am 27. August 1881 in Landhausen geboren, lebte in München, heiratete Anna Hermann (geboren 1878) und besaß eine Buchhandlung neben der Universität. Sie zogen zwei Kinder groß, Fritz und Helene. 1937 wurden Josef und Fritz verhaftet und in das KZ Dachau gebracht. Als Held des Ersten Weltkriegs wurde Josef nach zwei Wochen entlassen, Fritz erst nach zwei Monaten.

Nach großen Bemühungen gelang es Fritz und Helene, Zertifikate zur Emigration nach England zu erhalten, wo Helene ab und zu Briefe von ihren Eltern empfing. Am 11. Dezember 1939 schrieb Josef an seine Tochter: „Wir hoffen nur, mit Euch zusammen zu kommen. Das ist unser einziger Wunsch in diesem Leben.“

In der Erinnerung meiner Cousine Helene verlief das Schicksal ihrer Eltern folgendermaßen: Über einen Freund aus München, der einen Mitarbeiter des Roten Kreuzes getroffen hatte, erfuhr sie die quälende Nachricht, dass Josef und Anna in München gefasst und am 2. März 1942 nach Lodz in Polen transportiert worden waren. Später wurde ihr Vater dort als „lebendes Skelett“ gesehen; ihre Mutter wurde, mit Helenes Worten, nach „Ziel unbekannt ... Auschwitz!“ deportiert. Anna wurde dort ermordet, Josef in Lodz oder Auschwitz umgebracht.

Die historische Recherche ergab allerdings einen von dieser Erinnerung unterschiedlichen Verlauf der Ereignisse – das Ergebnis ist jedoch dasselbe: Josef und Anna Weinstein erlitten unter der Brutalität des NS-Regimes ein furchtbares Ende. Beide waren bereits am 20. November 1941 nach Kaunas/Litauen deportiert und fünf Tage später ermordet worden.

Karl Weinstein

Wie für viele Juden war auch für Karl die „Pogromnacht” im November 1938 ein Wendepunkt. Karl, Elise und ihre Kinder waren die einzige jüdische Familie in Markersdorf, einem kleinen, ruhigen Dorf in der Nähe von St. Pölten, wo sie die Gewischtwarenhandlung betrieben. In der schrecklichen Nacht des 9. Novembers 1938 stürmten Nazi-Hooligans das Haus. Die gesamte Familie war durch diesen Vorfall schwer traumatisiert. Der junge Hermann, mein Vater, damals 20 Jahre alt, entschied sich, sofort nach Palästina aufzubrechen.

Karl, seine Frau Eliese und ihre 17-jährige Tochter Lotti (Charlotte Karoline) wurden wie Adolf 1940 zwangsweise in eine Sammelwohnung in Wien 2, Große Stadtgutgasse 3 umgesiedelt. Am 19. Februar 1941 wurden sie nach Kielce in Polen deportiert. Eliese starb dort im Winter 1941, Karl und Lotti verschwanden in Kielce oder Treblinka. Ich möchte einige Sätze aus einem Brief zitieren, den Karl am 10. Juni 1941 aus Kielce an seine frühere Nachbarin Amalie Brunner in St. Pölten schrieb. Die Briefe befinden sich heute bei unserer Familie in Maccabim, Israel.

„Durch die lange Zeit an Hunger und Entbehrungen sind wir schon so abgeschwächt, [...] wenn man bedenkt, was es heißt, wenn wir schon durch 3 Monate kein Stückchen Rindfleisch oder Rindsuppe weder gesehen noch gegessen haben [...]. Es ist natürlich fürchterlich traurig und für uns furchtbar bitter, edle Menschen um Unterstützung zu bitten, aber der Mensch wehrt sich bis zum letzten Atemzug, um nicht eines Hungertodes sterben zu müssen.“

Trotz dieser furchtbaren Lage weigerte sich Karl Weinstein, als Held des Ersten Weltkriegs ausgezeichnet, mutig bis zum Ende, sein Haus und den Grundbesitz in Markersdorf an die Nazis zu verkaufen.

 

Aus: Steine der Erinnerung in St. Pölten I/2018, S.42-46, Hg.: Institut für jüdische Geschichte Österreichs, zu bestellen unter Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! um 8 € zzgl. Porto
Bilder: Foto von Bernadette Dewald, Aufnahme des Haus der Familie Weinstein in Markersdorf ca. 1930 aus dem Bildarchiv des INJOEST

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