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Anna
Tieger
Braun
16.11.1880
Boskowitz
Izbica
Haushalt
Schneckgasse 11, St. Pölten
Kremserlandstraße 57, St. Pölten
am 2. Mai 1939 Zwangsumsiedelung nach Franz Hochedlingergasse 10, Wien 2; am 5. Juni 1942 nach Izbica deportiert
Alois
Johanna
Moritz
Anna Tieger war Witwe. Sie schrieb 1939 an die Vermögensverkehrsstelle:
„Bin 7 Jahre Witwe, ganz allein, […] habe keine Pension oder sonstige Unterstützung, mein Mann hat den ganzen Feldzug mitgemacht [Erster Weltkrieg], hatte das silberne Verdienstkreuz mit der Krone am Band der Tapferkeitsmedaillie und war seit der Rückkehr aus dem Feld immer krank und starb am 14. Feb[ruar] 1931. Ich selbst bin leidend, habe auch noch meinen alten Vater von 85 Jahren, A. Braun, Wien II, Zirkusgasse Nr. 5 zu seinen [sic!] Unterhalt Unterstützung zu leisten.“

Anna Tieger meldete sich am 2. Mai 1939 nach Wien ab und wurde am 5. Juni 1942 nach Izbica deportiert.

 

Steine der Erinnerung

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Anna Tieger, geb. Braun

„Bin 7 Jahre Witwe, ganz allein, habe keine Pension oder sonstige Unterstüt­ zung, mein Mann hat den ganzen Feldzug mitgemacht, hatte das silberne Verdienstkreuz mit der Krone am Band der Tapferkeitsmedaille und war seit der Rückkehr aus dem Feld immer krank und starb am 14. Februar 1931. Ich selbst bin leidend, habe auch noch meinen alten Vater von 85 Jahren, A. Braun, Wien II, Zirkusgasse Nr. 5, zu seinen [sic!] Unterhalt Unterstützung zu leisten.“ (Veränderungsanzeige von Anna Tieger an die Vermögensverkehrsstelle Wien, St. Pölten, 3. 1. 1939)

Anna Tieger wurde am 16. November 1880 in Boskowitz/Boskovice (Mähren) als Tochter von Alois und Johanna, geb. Adler, geboren. Wann sie den in Spitz/ Donau geborenen, im Ersten Weltkrieg hoch dekorierten Moritz Tieger heiratete und nach St. Pölten zog, ist nicht bekannt. Vielleicht war es für sie nach dem Tod ihres Mannes leichter, am Wohnort ihres Schwagers Sigmund Tieger und dessen Familie zu leben, denn Anna hatte zwar fünf Geschwister, aber keine Kinder.

Obwohl Witwe und ohne eigenes Einkommen, war Anna Tieger nicht unvermö- gend. Das von ihr am 15. Juli 1938 ausgefüllte „Verzeichnis über das Vermögen von Juden“ enthält neben Sparbucheinlagen von rund 4000 Reichsmark (RM) auch 3067 RM, die sie ihrem Bruder Otto Braun geliehen hatte. In der ersten „Veränderungsanzeige“ dieses Verzeichnisses vom 10. Dezember 1938 ersuchte sie, diese Schuldsumme aus dem Vermögensstand zu entfernen. Sie sei „völlig uneinbringlich und muss von mir zur Gänze als verloren betrachtet werden“, denn als Zahntechniker hatte ihr Bruder nach dem „Anschluss“ seine Kunden verloren und kaum noch Einkommen. Sie unterstützte also nicht nur ihren alten Vater, sondern auch ihren durch die NS-Gesetze verarmten Bruder. Am 14. November 1938 hatte sie in Wien ein Sparbuch aufgelöst und die Einlage behoben: „Ich bringe diesen Umstand vor, weil ich infolge der Krankheit und der damaligen Ereignisse vor dem 12. November a. c. nicht nach Wien kommen konnte.“ Hier spielt Anna Tieger offensichtlich auf die Novemberpogrome an. Nach Abzug diverser Ausgaben für Bruder und Vater und der Rückzahlung eigener Schulden blieben ihr 332 RM.

In kluger Voraussicht hatte Anna Tieger für die Vermögensanmeldung im Juli ihre Wertgegenstände, darunter eine Herrenuhr und Herrenkette – also wohl Andenken ihres verstorbenen Mannes –, zwei silberne Kerzenleuchter „Alt Wien“ und Schmuck, von einem gerichtlich beeideten Schätzmeister bewerten lassen und das Gutachten beigelegt. Dementsprechend betrug der Gesamtwert ihrer Pretiosen 2079 Reichsmark. Eine neuerliche Schätzung durch den „Gold-arbeiter“ Alois Bäcker in St. Pölten ergab 1613 RM, also 22 Prozent unter dem ersten Schätzwert. Diese Verringerung ihres Vermögens gab Anna Tieger am 3. Jänner 1939 in einer zweiten „Veränderung“ der Vermögensverkehrsstelle bekannt, in der sie auch, wie eingangs zitiert, ihre Notlage darstellte.

Zu diesem Zeitpunkt hatte sie bereits ihre Wohnung verlassen und in die Kremser Landstraße 57 ziehen müssen. An dieser Adresse lag das Magazin des St. Pöltner Kaufmanns und Kultusgemeindevorstands Julius Körner, in dem auch Josef Rosenstingl und die Familie Briefwechsler bis zu ihrer Zwangsübersiedlung nach Wien eine Notunterkunft gefunden hatten.

Nach Wien 2, Franz Hochedlingergasse 10, einer Adresse, von der insgesamt 78 Menschen in die Vernichtung deportiert werden sollten, übersiedelte Anna Tieger am 2. Mai 1939. Einen Tag später verkaufte sie dem Dorotheum in Wien 1, Spiegelgasse 16, ihre Wertgegenstände um nur 67 Prozent des im zweiten Gutachten geschätzten Wertes. Ob sie diesen reduzierten Erlös tatsächlich erhalten hat oder ob er, wie bei den meisten Zwangsverkäufen, auf ein Sperrkonto ging, lässt sich nicht nachweisen.

Am 5. Juni 1942 wurde Anna Tieger nach Izbica (Distrikt Lublin, Polen) deportiert. Die Bevölkerung dieses kleinen Ortes, etwa 6.000 Personen, war zu 90 Prozent jüdisch. Durch die Deportationen stieg die Anzahl auf das Doppelte, die meisten wurden in den Gaskammern des Vernichtungslagers Belzec ermordet. Von den 4000 aus Österreich nach Izbica Deportierten überlebte niemand. Annas Bruder Otto Braun konnte, vermutlich auch dank ihrer finanziellen Unterstützung, nach London und schließlich nach New York entkommen. Ihrem Schwager Sigmund Tieger und dessen Tochter Herta wird dieses Jahr ebenfalls ein Stein der Erinnerung gesetzt.

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