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Isidor
Reiß
Reiss, Reisz
13.07.1875
St. Pölten
Wlodawa
Kaufmann
Linzerstraße 13, St. Pölten
Am 29. September 1939 nach Margaretenstraße 52, Wien 4 abgemeldet, später in die Fasangasse 14, Wien 3 übersiedelt; am 27. April 1942 nach Wlodawa deportiert
Adolf
Pauline
Kohn
Irma
Frank
Harry Adolf
Katharina Edith

 

Steine der Erinnerung

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Isidor Reiss und seine Frau Irma, geb. Frank

„Wissen Sie, wohin Ihre Familie deportiert worden ist? – Nein. – Wollen Sie es wissen, soll ich es für Sie herausfinden? – Ja.“ (Abraham Harry Reiss, Interview mit Martha Keil, Kirjat Malachi, Israel, 3. 8. 1997)

Isidor „Isi“ Reiss, am 13. Juli 1875 in St. Pölten geboren, war der einzige Sohn von Adolf Abraham Reiss und Pauline, geborene Kohn. Drei Brüder starben als Kleinkinder, seine vier Schwestern erreichten das Erwachsenenalter. Verheiratet war er mit der am 21. Mai 1887 in Viehofen geborenen Irma, Tochter von Karl Frank und Mathilde, geborene Duschak. Isidor war vielseitig engagiert: Wie die St. Pöltner Zeitung berichtete, gewann er beim Festschießen der Schützenkompanie St. Pölten am 1. Juni 1913 drei Preise. Er diente im Ersten Weltkrieg und im November 1917 unterstützte er die „Aktion zur Rettung der verlassenen Kinder Galiziens“ mit 30 Kronen. Er war Mitglied des „Humanitären Geselligkeitsvereins Frohsinn, St. Pölten“ und als Vorstand der Chewra Kadischa, der Beerdigungsgemeinschaft, hatte er in der Synagoge einen Ehrenplatz.

Schon sein Vater hatte in der Linzer Straße 13 einen Handel mit Konfektionswaren und Getreide gegründet, den Isidor zuerst mit ihm gemeinsam und ab 1921 alleine weiterführte. Isidor war auch Leitungsmitglied im Gremium der Kaufmannschaft St. Pölten – ein angesehener Bürger der Stadt.

Ab 1929 war Irma im Betrieb als Prokuristin tätig und auch sie engagierte sich auch außerhalb der jüdischen Gemeinde. Als Mitglied der Frauenhilfsgruppe des Roten Kreuzes betreute sie Kinder, deren Mütter auswärts arbeiten mussten.

Nach dreizehn Jahren Ehe stellte sich der ersehnte Nachwuchs ein: Die Kinder Katharina Edith, genannt Ditta, geb. 1921, und Harry Adolf, geb. 1922, engagierten sich in der jüdischen Jugend, Ditta im zionistischen Verein Betar, Harry in der sozialistischen „Gordonia“. Harry Reiss bezeichnete seine Familie als „säkular-religiös-traditionell“: „Zum großen Feiertag [Versöhnungstag] sind wir immer in die Synagoge gegangen und haben gefastet. Aber nach dem Fasten hat man Schinken gegessen. [...] Man hat mich erzogen, es gibt Gott, aber nicht fanatisch. Es ist sehr schade, dass das heute anders ist.“

Bereits ein Monat nach dem „Anschluss“, am 11. April 1938, wurde über Isidor Reiss’ Vermögen ein Ausgleichsverfahren eröffnet, am 29. Juni Anton Specht zum kommissarischen Verwalter bestellt und am 5. Dezember wurde die Firma gelöscht. Haus und Grundstück waren am 25. Oktober 1938 vom Nachbarn Josef Franzl „arisiert“ worden, zu einem fairen Kaufpreis, wie er später betonte, der jedoch nicht dem Schätzwert entsprach. Ein Drittel des Erlöses ging allerdings auf ein Sperrkonto und nicht an die unfreiwilligen Verkäufer, die sich, wie am 17.11.1938 sogar die Vermögensverkehrsstelle bemerkte, „keineswegs in guten Verhältnissen befinden“. Laut Franzls Angaben wohnte die Familie Reiss noch ein Jahr mit ihm im inzwischen „arisierten“ Haus, bis sie sich am 29. September 1939 nach Wien 4, Margaretenstraße 52 und später nach Wien 3, Fasangasse 14 abmeldete. Von dort wurden Isidor und Irma am 27. April 1942 nach Wlodawa deportiert und entweder gleich bei der Ankunft oder später in Sobibor ermordet.

Harry und Ditta entkamen rechtzeitig, er floh bereits am 4. Oktober 1938 über Triest nach Palästina/Erez Israel, sie am 12. März 1939, genau an ihrem 18. Geburtstag, nach Schottland. Nach dem Krieg bemühte sie sich, von Josef Franzl das Haus zurück zu erhalten, ließ sich aber von seiner Hilfsbedürftigkeit verleiten, auf Entschädigung zu verzichten. Harry hatte seit 1940 nichts von den Eltern gehört und war auch nie offiziell von deren Tod benachrichtigt worden: „Für mich war das ein Trauma. Als Verteidigung hab’ ich mich abgeschlossen. Ich hab’ nicht gewusst, wo St. Pölten ist, ich hab’ nicht gewusst ... ich wollte nicht. Ich hab’ mich nicht erinnert.“

 

Isidor Reiss and his wife Irma, née Frank

“Do you know to where your family was deported? – No. – Do you want to know, should I find out for you? – Yes.” (Abraham Harry Reiss, interview with Martha Keil, Kiryat Malachi, Israel, 3.8.1997)

Isidor “Isi” Reiss was born in St. Pölten on 13 July 1875, the only son of Adolf Abraham Reiss and Pauline, née Kohn. His three brothers died in their infancy, while his four sisters lived to see adulthood. He would later marry Irma, who was born in Viehofen on 21 May 1887 to Karl Frank and Mathilde née Duschak. Isidor led a multifaceted life: As the “St. Pöltener Zeitung” reported, he won three prizes in the shooting competition of the St. Pölten Schützen- kompanie on 1 June 1913. He served in World War One and in November 1917 supported the “initiative to save the abandoned children of Galicia” with a donation of 30 Kronen. He was a member of the “Humanitarian Social Club Frohsinn, St. Pölten” and, as the chairman of the Chevra Kadisha, he had an honorary place in the synagogue. His father had already founded a business selling manufactured clothing and grains in Linzer Straße 13, which Isidor ran together with his father at first, before taking over sole responsibility in 1921. Isidor was also a leading member of the Board of Merchants of St. Pölten – he was a venerated citizen. From 1929 onward, Irma worked as an attorney for his business and was also active outside of the Jewish community.

As a member of the women’s aid group of the Red Cross, she cared for children whose mothers had to work away from home.

After thirteen years of marriage, the couple finally had the children they longed for: Katharina Edith, known as Ditta, born 1921, and Harry Adolf, born 1922, were active in Jewish youth movements, Harry in the socialist “Gordonia”. Harry Reiss described his family as “secular/religious/traditional”: “We always went to synagogue on the High Holy Day [Yom Kippur] and fasted. But after fasting we ate ham. [...] The way I was raised, there is a God, but we were not fanatical. It is very sad that it is no longer like this today.”

Just a month after the “Anschluss”, on 11 April 1938, settlement proceedings were initiated to adjudicate over Isidor Reiss’ property. On 29 June, Anton Specht was appointed as the provisional administrator and on 5 December the business was liquidated. The Reiss’ house and land was “Aryanized” on 25 October 1938 by their neighbor Josef Franzl, at a fair price, as he later emphasized, though it fell below the estimate. A third of the sales price, in any case, was placed in a frozen account and did not go to the involuntary sellers who, as the Property Transaction Office noted on 17 November 1938, were “by no means living in good circumstances”. According to Franzl, the Reiss family lived with him for a year in the now “Aryanized” house, before they deregistered to Margaretenstraße 52 in Vienna’s fourth district on 29 September 1939, later moving on to Fasangasse 14 in the third district. Isidor and Irma were deported from there to W?odawa on 27 April 1942, where they were either murdered immediately upon arrival or later in Sobibor.

Harry und Ditta managed to escape on time. Harry fled on 4 October 1938, travelling via Trieste to Palestine/Eretz Israel, while Ditta fled to Scotland on 12 March 1939, her eighteenth birthday. After the war, she tried to get the house returned by Franzl, yet he managed to talk her into renouncing her claims to compensation on account of his ostensible impoverishment. Harry had not heard anything from his parents since 1940 and was never officially informed of their deaths: “That was a trauma for me. In defense, I closed myself off. I did not know where St. Pölten is, I did not know ... I did not want to know. I did not remember.”

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