Dr. Kohners Haus in der Heidenheimer Straße 23 – ein Zweifamilienhaus, das er mit dem Anwalt und bis 1934 Stadtrat Dr. Julius Fischer teilte – wurde am 11. November 1938 von der Stadt St. Pölten „arisiert“ und am 20. (beziehungsweise 30.) Dezember 1938 an die Finanzverwaltung des Heeres, den Reichsfiskus Heer weiterverkauft. Wie bei Dr. Fischer führte die Stadt auch in diesem Fall für das Reich die „Arisierung“ durch. Am 23. Jänner 1939 zog Paul Kohner gemeinsam mit seinem Anwaltskollegen Dr. Hugo Deutsch in die ehemalige Wohnung der jüdischen Familie Müller in der Schubertstraße 1.
Dr. Paul Kohner meldete sich von St. Pölten ab und musste am 15. Juni 1939 von Wien 7 in die Ferstlgasse 9/14, Wien 9 übersiedeln. Am 9. April 1942 wurde er nach Izbica deportiert und ermordet.
Steine der Erinnerung


Dr. Paul Kohner
„Gegenwärtige Lage und monatlicher Verdienst: Ich führe noch meine Kanzlei, Geschäftsgang schlecht, Bruttoeinnahmen [Brutto dreimal unterstrichen, Anm.] im Mai d. J. [des Jahres] RM 330, im Juni 160. Wohin wollen Sie auswandern: womöglich Nordamerika oder anderswohin, wo es klimatisch möglich ist“ (Paul Kohner, Fragebogen der Auswanderungsabteilung der IKG Wien, 25. 7. 1938)
Zehn Tage zuvor, am 15. 7. 1938, hatte Paul Kohner in seinem „Verzeichnis über das Vermögen von Juden“ an Gegenständen im Gesamtwert von 2.550 Reichsmark neben Essbesteck, einer silbernen Teekanne und „altmodischen goldenen Schmuckstücken“ auch einige „Bilder und Graphika zeitgenössischer Kunst“ sowie Kleinplastiken angeführt – ein akademisch gebildeter Mann mit Sinn für Kunst und sozialem Engagement: Von 1922 bis 1928 war er stellvertretender Obmann des St. Pöltner Volksbildungsvereins „Urania“, der sich, 1888 in Berlin gegründet und ab 1897 auch in Wien erfolgreich tätig, die „Verbreitung der Freude an der Naturerkenntnis“ zur Aufgabe gemacht hatte.
Paul Kohner, am 8. 9. 1879 in Eger (Böhmen) als Sohn von Adolf und Emilie – ihr Mädchenname im Geburtseintrag ist nicht zu entziffern – geboren, war einer der sechs jüdischen Rechtsanwälte in St. Pölten. Seine Mutter starb, als er ein Jahr war. Er selbst blieb unverheiratet. Nach Absolvierung seines Jurastudiums an der Deutschen Universität in Prag 1904 war er zuerst Pflichtverteidiger, dann spezialisierte er sich auf Insolvenz- und Scheidungsrecht und arbeitete schließlich als Prokurist bei der Verkehrsbank. Am 22. 2. 1912 hatte er in der Beilage zur „St. Pöltner Zeitung“ die Eröffnung seiner Kanzlei in der Brunngasse 10 bekanntgegeben.
1931 erwarb Kohner ein einstöckiges Haus mit Garten in der Heidenheimerstraße, 1917 erbaut von dem St. Pöltner Architekten Rudolf Wondracek sen., der 1906 auch die Zeremonienhalle am neuen jüdischen Friedhof entworfen hatte. Die zweite Hälfte des symmetrisch angelegten Doppelhauses besaß sein Anwaltskollege und von 1926 bis 1934 sozialdemokratischer Stadtrat DDr. Julius Fischer. Bereits am 11. November 1938 wurden beide Hausteile von der Stadt St. Pölten für das Deutsche Reich „arisiert“ und im Dezember 1938 an die Finanzverwaltung des Heeres, den „Reichsfiskus Heer“, zur Unterbringung von Wehrmachtsoffizie- ren weiterverkauft. Ab 23. 1. 1939 fand Paul Kohner gemeinsam mit seinem ebenfalls delogierten Anwaltskollegen Dr. Hugo Deutsch in der Villa des Brennstoffhändlers Wilhelm Müller, welchem dieses Jahr ebenfalls ein Stein der Erinnerung gesetzt wird, in der Schubertstraße 1 (heute Theodor Körner-Straße) eine Bleibe. Am 15. 6. 1939 meldete sich Paul Kohner nach Wien ab und wurde am 9. 4. 1942 von Wien 9, Ferstelgasse 6/14 nach Izbica deportiert. Von dieser Adresse wurden insgesamt 30 Menschen in die Vernichtung geschickt, alleine 17 Personen von der Türnummer 12. In der großen Altbauwohnung war von seiner Gründung 1966 bis zum Umzug auf den Campus des Alten Allgemeinen Krankenhauses das Institut für Judaistik der Universität Wien untergebracht. Ob diese belastete Vergangenheit bekannt war, ist nicht zu verifizieren – erwähnt wurde sie nie.