Zwangsumsiedlung nach Wollzeile 9, Wien 1; am 20. Mai 1942 nach Maly Trostinec deportiert
Lippold (Leopold)
Anna
Steiner
Am 17. Februar 1881 gründete Sigmund Mahler in Kemmelbach einen Produktenhandel. Durch den als Geschäftszweig betriebenen Hadernhandel kam er auch mit diversen Papierfabriken in Kontakt, was ihn und seinen 1886 in die Firma eingetretenen Bruder Adolf 1892 veranlasste, die Papiermühle in Rennersdorf zu pachten.
In der Fabrik in Rennersdorf fanden in ihrer Blütezeit 150 Arbeiter Beschäftigung, die zu einem Teil in den für sie erbauten vier Arbeiterhäusern wohnten.
Der 1927 geborene Perutz (früher Peter) Mahler, Sohn des damaligen Fabriksdirektors Adolf Mahler – die Firma gehörte nicht ihm selbst, sondern stand im Eigentum seiner Familie – berichtete, dass sie als einzige Familie im Ort Strom und das WC im Haus hatten. Das Dynamohaus am Fluss neben der Fabrik versorgte die Fabrik und das Privathaus mit Elektrizität. Stand die Fabrik jedoch still, gab es auch im Haus weder Warmwasser noch Strom.
Nach dem »Anschluss« kaufte die Firma Piatnik das Werk – in welchem Verfahren, lässt sich nicht feststellen – und der frühere Ingenieur wurde Fabriksleiter. Perutz Mahler erinnert sich an die Zeit nach der Arisierung: »Die Zeit war schwer. Die Fabrik hatte einen Zaun und ein Tor. Dort befand sich ein Wachposten und eine Waage für Autos. Beim Wachposten war ein Gestell, wo Zeitungen ausgestellt wurden: Der Völkische Beobachter und Der Stürmer. Mein Name war: ,Peter Mahler, der Saujud’. Diejenigen, die nett waren, nannten mich nur ,Judenbinkel’, die nicht netten ,Saujud‘.
Als die Nazis in Österreich einmarschierten, war das Erste, was mein Vater machte, dass er eine Annonce in der englischen Fachzeitschrift The Papermaker aufgab. Mein Vater arbeitete über 40 Jahre in der Papierbranche. Ich nehme daher an, dass er in der Branche bekannt war. Er bekam einen ganzen Stoß von Zuschriften. Natürlich suchte er das Beste aus, und das war Indien. Manager of the Indian Paper Cartell, ein Haus in Bombay, eine viel bessere Stellung als er sie je in Österreich gehabt hatte. Natürlich wollten wir nach Indien. Doch um eine Einreisegenehmigung nach Indien zu bekommen, brauchte man ein medizinisches Attest. Mein Vater war damals bereits fast 60 Jahre alt und der Doktor sagte, dass ein Mensch dieses Alters, der aus Österreich kommt, nicht in Bombay leben kann. Ich glaube, er hatte recht. Also ist Indien durchgefallen.
Das nächstbeste Angebot war Portugal, doch Portugal wollte keine Arbeitsbewilligung geben. Die Regierung sagte, dass es genug Arbeitslose in Portugal gebe; wenn eine portugiesische Fabrik einen Direktor braucht, gibt es genug arbeitslose Direktoren im Land. Wenn das eine portugiesische Fabrik gewesen wäre, wäre es das Ende gewesen. Doch die Fabrik war eine englische Fabrik und die Besitzer in England sagten, wenn wir nicht unseren eigenen Direktor wählen können, schließen wir die Fabrik und dann habt ihr noch mehr Arbeitslose. Die Angelegenheit kam vors portugiesische Parlament und die Sache dauerte immer länger. Schließlich sagte meine Mutter, dass sie nicht länger warten könnten. In der Zwischenzeit war das Münchner Abkommen geschlossen worden.
Das nächste Ziel waren die USA. Wir hatten sogar zwei Affidavits, aber keine Arbeit. Die Eltern erhielten daher eine so hohe Quotennummer, dass sie zwei Jahre hätten warten müssen. Daher bemühten sie sich neuerlich um eine Arbeit in England und erhielten tatsächlich ein Visum, aber erst am 1. September 1939, sodass sie nicht mehr weg konnten. Das war das Ende.«
1938 meldete sich die Familie Mahler nach Wien ab. Die Übersiedlung erfolgte jedoch bereits vor Schulbeginn. Wie eine solche »Übersiedlung« real vor sich ging, schildert Peters Schwester Daliah Sapir (früher Dolly, geb. Mahler) so:
»Früh am nächsten Morgen, um 5 oder 6 Uhr, es wurde gerade erst hell, brachen wir nach Wien auf. Drei oder vier Leute erschienen, um uns anzutreiben. Mein Vater sagte, dass er sich nach 40 Jahren nicht so einen Abschied verdient hätte. Daran erinnere ich mich noch ganz deutlich.«
Angesichts der Schwierigkeiten, im Ausland einen Arbeitsplatz zu bekommen, beschlossen die Eltern im März 1939, ihre Kinder mit einem Kindertransport nach England zu schicken. Perutz und Daliah landeten schließlich bei jüdischen Familien in Schottland. Daliah erinnert sich an den Abschied, als alle noch überzeugt waren, einander bald wiederzusehen: »Meine Tante musste uns zum Bahnhof bringen, weil es meine Eltern nicht ertragen konnten. Meine letzte Erinnerung an meine Eltern ist, dass mein Vater schluchzend in der Tür stand.«
Adolf und Johanna Mahler wurden von ihrer letzten Adresse in Wien 1, Wollzeile 9 am 20. Mai 1942 nach Maly Trostinec deportiert. Angeblich begingen sie vor der Ankunft Selbstmord durch die Einnahme von Zyanid-Kapseln. Die Geschwister Perutz und Daliah ließen sich schließlich im Kibbutz Yassur in Israel nieder.
In der Fabrik in Rennersdorf fanden in ihrer Blütezeit 150 Arbeiter Beschäftigung, die zu einem Teil in den für sie erbauten vier Arbeiterhäusern wohnten.
Der 1927 geborene Perutz (früher Peter) Mahler, Sohn des damaligen Fabriksdirektors Adolf Mahler – die Firma gehörte nicht ihm selbst, sondern stand im Eigentum seiner Familie – berichtete, dass sie als einzige Familie im Ort Strom und das WC im Haus hatten. Das Dynamohaus am Fluss neben der Fabrik versorgte die Fabrik und das Privathaus mit Elektrizität. Stand die Fabrik jedoch still, gab es auch im Haus weder Warmwasser noch Strom.
Nach dem »Anschluss« kaufte die Firma Piatnik das Werk – in welchem Verfahren, lässt sich nicht feststellen – und der frühere Ingenieur wurde Fabriksleiter. Perutz Mahler erinnert sich an die Zeit nach der Arisierung: »Die Zeit war schwer. Die Fabrik hatte einen Zaun und ein Tor. Dort befand sich ein Wachposten und eine Waage für Autos. Beim Wachposten war ein Gestell, wo Zeitungen ausgestellt wurden: Der Völkische Beobachter und Der Stürmer. Mein Name war: ,Peter Mahler, der Saujud’. Diejenigen, die nett waren, nannten mich nur ,Judenbinkel’, die nicht netten ,Saujud‘.
Als die Nazis in Österreich einmarschierten, war das Erste, was mein Vater machte, dass er eine Annonce in der englischen Fachzeitschrift The Papermaker aufgab. Mein Vater arbeitete über 40 Jahre in der Papierbranche. Ich nehme daher an, dass er in der Branche bekannt war. Er bekam einen ganzen Stoß von Zuschriften. Natürlich suchte er das Beste aus, und das war Indien. Manager of the Indian Paper Cartell, ein Haus in Bombay, eine viel bessere Stellung als er sie je in Österreich gehabt hatte. Natürlich wollten wir nach Indien. Doch um eine Einreisegenehmigung nach Indien zu bekommen, brauchte man ein medizinisches Attest. Mein Vater war damals bereits fast 60 Jahre alt und der Doktor sagte, dass ein Mensch dieses Alters, der aus Österreich kommt, nicht in Bombay leben kann. Ich glaube, er hatte recht. Also ist Indien durchgefallen.
Das nächstbeste Angebot war Portugal, doch Portugal wollte keine Arbeitsbewilligung geben. Die Regierung sagte, dass es genug Arbeitslose in Portugal gebe; wenn eine portugiesische Fabrik einen Direktor braucht, gibt es genug arbeitslose Direktoren im Land. Wenn das eine portugiesische Fabrik gewesen wäre, wäre es das Ende gewesen. Doch die Fabrik war eine englische Fabrik und die Besitzer in England sagten, wenn wir nicht unseren eigenen Direktor wählen können, schließen wir die Fabrik und dann habt ihr noch mehr Arbeitslose. Die Angelegenheit kam vors portugiesische Parlament und die Sache dauerte immer länger. Schließlich sagte meine Mutter, dass sie nicht länger warten könnten. In der Zwischenzeit war das Münchner Abkommen geschlossen worden.
Das nächste Ziel waren die USA. Wir hatten sogar zwei Affidavits, aber keine Arbeit. Die Eltern erhielten daher eine so hohe Quotennummer, dass sie zwei Jahre hätten warten müssen. Daher bemühten sie sich neuerlich um eine Arbeit in England und erhielten tatsächlich ein Visum, aber erst am 1. September 1939, sodass sie nicht mehr weg konnten. Das war das Ende.«
1938 meldete sich die Familie Mahler nach Wien ab. Die Übersiedlung erfolgte jedoch bereits vor Schulbeginn. Wie eine solche »Übersiedlung« real vor sich ging, schildert Peters Schwester Daliah Sapir (früher Dolly, geb. Mahler) so:
»Früh am nächsten Morgen, um 5 oder 6 Uhr, es wurde gerade erst hell, brachen wir nach Wien auf. Drei oder vier Leute erschienen, um uns anzutreiben. Mein Vater sagte, dass er sich nach 40 Jahren nicht so einen Abschied verdient hätte. Daran erinnere ich mich noch ganz deutlich.«
Angesichts der Schwierigkeiten, im Ausland einen Arbeitsplatz zu bekommen, beschlossen die Eltern im März 1939, ihre Kinder mit einem Kindertransport nach England zu schicken. Perutz und Daliah landeten schließlich bei jüdischen Familien in Schottland. Daliah erinnert sich an den Abschied, als alle noch überzeugt waren, einander bald wiederzusehen: »Meine Tante musste uns zum Bahnhof bringen, weil es meine Eltern nicht ertragen konnten. Meine letzte Erinnerung an meine Eltern ist, dass mein Vater schluchzend in der Tür stand.«
Adolf und Johanna Mahler wurden von ihrer letzten Adresse in Wien 1, Wollzeile 9 am 20. Mai 1942 nach Maly Trostinec deportiert. Angeblich begingen sie vor der Ankunft Selbstmord durch die Einnahme von Zyanid-Kapseln. Die Geschwister Perutz und Daliah ließen sich schließlich im Kibbutz Yassur in Israel nieder.