Steine der Erinnerung


Paula Briefwechsler und ihr Sohn Walter
„Ort und Zeit des Todes: nicht bekannt; Umstände des Todes: nicht bekannt.“
Als Simon Briefwechsler für die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem das Gedenkblatt, die „Page of Testimony“, für seine Frau Paula Bila und seinen Sohn Walter Se’ev ausfüllte, konnte er zu den näheren Umständen der Ermordung keine Angaben machen.
Simon Briefwechsler, 1894 in Wien geboren, zog 1928 als Witwer mit seiner achtjährigen Tochter Anna nach Usingen (bei Bad Homburg in Hessen) und führte dort ein Schuhgeschäft. Dank der Recherchen des „Aktiven Museums Spiegelgasse“ in Wiesbaden sind wir über sein Leben unterrichtet: 1929 heiratete er Paula, Tochter der Schuhhändler Elchanan und Johanna Blumenthal, geboren am 15. September 1899 in Nordhofen bei Selters im Westerwald-Kreis (Rheinland-Pfalz). Am 4. Jänner 1930 kam ihr gemeinsamer Sohn Walter zur Welt. Bereits in diesem Jahr musste Simon das Geschäft schließen. Er fand Arbeit als Wäschevertreter und als Buchhalter im Städtischen Elektrizitätswerk. Weil „Nichtarier im Dienste der Stadt nicht mehr beschäftigt werden können“, wurde er mit 1. September 1935 gekündigt, sein Gewerbeschein wurde ihm entzogen. In dieser Notlage kehrte er nicht in seine Geburtsstadt Wien zurück, sondern migrierte nach St. Pölten, vermutlich, weil dort sein jüngerer Bruder, der Zahntechniker Berthold Briefwechsler lebte.
Auch in St. Pölten litt die Familie Armut, die Tätigkeit als Versicherungsvertreter brachte kaum das Nötigste ein. Nach dem „Anschluss“ verlor Simon seinen Arbeitsplatz und erhielt auch keine Arbeitslosenunterstützung. Wie er im Fürsorgeansuchen an die Israelitische Kultusgemeinde St. Pölten schrieb, war eines seiner Kinder „lungenkrank“ und seine Frau „leidend“. Die Familie wohnte, wie auch Josef Rosenstingl, im Magazin des jüdischen Kaufmanns und Kultusgemeindevorstands Julius Körner in der Kremser Landstraße 57.
Wie viele andere Juden in St. Pölten wurde Simon Briefwechsler in der „Reichspogromnacht“ verhaftet und war bis Februar 1939 in Dachau inhaftiert. Die rettende Auswanderung sollte von Wiesbaden aus organisiert werden, daher übersiedelte die Familie am 15. Juli 1939 dorthin. Nur Tochter Anna hatte sich bereits am 2. Dezember 1938 nach Wien abgemeldet und konnte sich nach Palästina/Erez Israel retten, wo sie 1947 mit nur 27 Jahren verstarb.
Auch ihr Vater ließ sich nach dem Krieg in Israel nieder, er starb 1975. Zwar hatte er im Juli 1939 ein Visum nach Großbritannien erhalten, konnte aber, als „feindlicher Ausländer“ nach Australien deportiert, seiner Familie nicht helfen. Paula erhielt noch die nötigen Papiere, doch machte der Kriegsausbruch die Flucht unmöglich. Am 11. Juni 1942 wurde sie mit ihrem Sohn von Frankfurt am Main aus nach Sobibor deportiert, wo sie am 2. November 1943, im Zuge der Vernichtung des Lagers nach dem Gefangenenaufstand am 14. Oktober, ermordet wurde. Es ist anzunehmen, dass der zwölfjährige Walter bereits kurz nach der Ankunft in die Gaskammern selektiert wurde.